Für die Suche nach einer gemeinsamen Position hat sich Gastgeber Argentinien ein besonders schönes Stückchen Erde ausgesucht: In Puerto Iguazu unweit des weltberühmten Wasserfalls treffen sich derzeit die politischen Spitzen aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, um eine gemeinsame Position im derzeit vielleicht größten wirtschaftspolitischen Pokerspiel auf dem Globus zu finden.
Europa und der südamerikanische Staatenbund Mercosur wollen die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Der Vertrag soll Zölle abbauen und den Handel ankurbeln. Im schwierigen Export-Umfeld sehnt die deutsche Wirtschaft diesen Vertrag geradezu herbei, um neue Märkte zu erschließen.
Im Machtkampf der Wirtschafts-Giganten könnte ausgerechnet die kleinste Nation Südamerikas mit gerade einmal 3,4 Millionen Einwohnern zu einem Schlüsselstaat werden. Uruguay, das wirtschaftlich und politisch stabilste Land der Region, fährt zur Sicherheit zweigleisig. Uruguays konservativer Präsident Luis Lacalle Pou verhandelt mit China und hofft aber inständig auf einen Vertrag mit Europa.
Peking und Brüssel liefern sich derzeit ein Verhandlungsduell um Montevideo, denn Uruguay könnte zu einem Einfallstor für einen zollfreien Handel mit Südamerika für China werden. Schon jetzt nutzt die chinesische Fischereiflotte, die rund um Süd- und Mittelamerika in internationalen Gewässern die Meere leerräumt, den Hafen Montevideo als ihren wichtigsten Anlaufpunkt. Uruguay lässt das im Vergleich zu anderen südamerikanischen Häfen zu.
Eigentlich lag der EU-Mercosur-Vertrag schon 2019 unterschriftsreif vor, doch die Europäer wollten mit dem rechtspopulistischen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wegen dessen umstrittener Amazonas-Abholzung nicht aufs Foto. Und so verschwand das Papier erst einmal in den Schubladen – ein taktisches Eigentor: Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben sich die geopolitischen Machtverhältnisse geändert.
Europa sucht nun dringend sichere Lieferketten und wiederentdeckt das lange links liegengelassene Südamerika. Wollten Brüssel und Berlin 2019 die Südamerikaner wegen Bolsonaro noch warten lassen, kann es den Europäern nun nicht schnell genug gehen. Doch nun stellen die Südamerikaner Forderungen, in dem Wissen, dass die Europäer mit Blick auf die Schlüsselrohstoffe wie Lithium nicht vollends das Duell mit China verlieren wollen.
Nun kommt Uruguay wieder ins Spiel. Montevideo sehe in China einen „abschlussfreudigen Partner“, warnte Kira Potowski, Leiterin der Deutsch-Uruguayischen Industrie- und Handelskammer, jüngst bei einer Anhörung im Wirtschaftssauschuss des Bundestages. Nicht nur in Montevideo ist die Geduld mit den ständigen Positionswechseln in Europa aufgebraucht, die es seit Jahrzehnten nicht hinbekommen, den Vertrag abzuschließen.
„Im Moment will Uruguay mit dem Mercosur als Block vorankommen“, sagt Agustin Iturralde vom Zentrum für Entwicklungsstudien (CED) in Montevideo im Gespräch mit WELT. Die aktuelle Regierung habe darauf geachtet, dass Uruguay in den internationalen Beziehungen vorankomme. China war eine der wichtigen Optionen. „Aber es ist nicht so, dass sie eine Präferenz für China haben. Es war vielmehr so, dass die Vereinigten Staaten nichts Konkretes angeboten haben und Europa hingehalten hat“, sagt Iturralde. „Ich würde sagen, die Chancen stehen 50:50. Wenn wir in der zweiten Jahreshälfte keine Fortschritte machen, wird es schwierig, dass der Vertrag noch zustande kommt. Das alles wäre für den Mercosur sehr frustrierend.“
Und für China die Chance, über Uruguay seinerseits zu einem Freihandelsvertrag als Türöffner zu kommen, den die Europäer nicht hinbekommen. Uruguays Präsident Lacalle Pou reist in Kürze nach China und wird irgendetwas Vorzeigbares mitbringen müssen, wenn es mit Europa nicht klappt. Das wäre dann ein enorm teurer Preis für einen Vertrag, der hätte schon vor vier Jahren abgeschlossen werden können.
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